Eine Weltmeisterschaft, bei der jeder mitmachen kann

Eine Weltmeisterschaft, bei der jeder mitmachen kann

Auf einer Grindelwalder Besonderheit um die Wette den Berg hinab. Ein Bericht über die Velogemel WM 2017.

Noch mehr als das Wort Weltmeisterschaft hört sich das Kürzel WM nach einer ernsten Angelegenheit an: Eine WM ist etwas Großes, Offizielles, Professionelles. Es steht viel auf dem Spiel. Sieg oder Niederlage. Man hat hart trainiert und geht vor dem großen Moment noch einmal hochkonzentriert jeden Schritt im Kopf durch. Wer allerdings einmal bei der Velogemel-WM in Grindelwald dabei war, weiß, dass eine Weltmeisterschaft sich auch anders anfühlen kann: Wenn Menschen auf einspurigen Sportschlitten gegeneinander antreten, geht es durchaus leichter, lustiger und lockerer zur Sache.

Daniel Bleuer ist heute ganz in Schwarz gekleidet. Mit Sonnenbrille und kurzärmeligem T-Shirt hat er sich hinter der Hütte auf der Bussalp eingerichtet. Vor ihm stecken fünf Velogemel, drei große und zwei kleine, kopfüber im Schnee. Die frisch gewachsten Kufen der Holzräder ohne Pedale reflektieren das Licht der Sonne, die an diesem 29. Jänner so stark ist, dass man hier oben auf 2.000 Höhenmetern in Unterwäsche herumspazieren könnte. Seit vielen Jahren nimmt Daniel Bleuer an der Velogemel-WM teil. Heute findet das Event zum 22. Mal statt – und dieses Jahr fährt die ganze Familie mit: seine Frau Jeanette und die drei Kinder. Noa, der jüngste Sohn, hat eigentlich gar keine Lust auf den Run. Mitmachen wird er trotzdem.

Die Velogemel-WM ist in erster Linie ein Fun-Event, aber nicht nur. Sie zieht richtig gute Fahrer mit Ehrgeiz genauso an wie Amateure, denen es nur ums Dabeisein geht. Teilnehmen kann jeder der Lust hat. Daniel Bleuer gehört zur ersten Gruppe, auch wenn er dieses Jahr wenig trainiert hat: „In den letzten 14 Tagen bin ich zwei Mal fahren gewesen“, sagt er. „Die Schneeverhältnisse haben nicht mehr zugelassen.“ Letztes Jahr hat er den zweiten Platz gemacht. Auch dieses Jahr wünscht er sich einen Platz am Podest. Sein einspuriger Lenksportschlitten, wie der Velogemel auch genannt wird, und die seiner Familie sind in Top-Form. „Am wichtigsten ist es, die Kufen zu pflegen. Früher hat man dafür eine Speckschwarte genommen“, erklärt Daniel Bleuer. Heute poliert er die metallenen Teile mit Spezialwachs.

„Am wichtigsten ist es, die Kufen zu pflegen. Früher hat man dafür eine Speckschwarte genommen.“

Es ist kurz nach 11 Uhr. Nach und nach trudeln die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein. Es sind Velogemel-Fans jeden Alters und unterschiedlichster Herkunft. Alle haben einen etwa 45-minütigen Anstieg hinter sich, während dem die meisten Jacke, Mütze und Handschuhe abgelegt haben. Im Startbereich liegen überall Velogemel herum, sie unterscheiden sich nur durch eingebrannte oder -geschnitzte Schriftzüge. Nicht jeder hier hat einen eigenen Velogemel – viele haben sich das Sportgerät auch für dieses Event ausgeliehen.

Velogemel-Fahren ist nicht schwer.

Was den Reiz an der Sache ausmacht, ist, dass man wendiger ist als mit einem Schlitten und mit der Zeit besser und schneller werden kann. „Dazu braucht man viel Fahrtechnik und Mut“, so Daniel Bleuer. „Das erste Mal, als ich gestartet bin, vor etwa sieben Jahren, bin ich gestürzt und musste mit einer Bauchprellung ins Krankenhaus.“ erinnert er sich. „Aber im Jahr darauf bin ich wieder gefahren. Es ist einfach ein toller Familiensport.“ Wir fotografieren Daniel und seine Familie noch schnell, bevor wir runterfahren müssen, um den Start nicht zu stören, der für 12 Uhr angesetzt ist.

Das erste Mal, als ich gestartet bin, vor etwa sieben Jahren, bin ich gestürzt und musste mit einer Bauchprellung ins Krankenhaus.

Als es oben losgeht, warten wir schon unten bei der schwierigsten Kurve, kurz vor dem Zieleinlauf. Hier hat man einen guten Blick auf die Fahrerinnen und Fahrer, die sich in 30 Sekunden-Intervallen den weißen Berg hinunterstürzen. Das, was oben so gemütlich und gemächlich aussieht, ist in Wirklichkeit ein Rennen in waghalsigem Tempo: Je näher die Menschen auf den Holzrädern kommen, umso verwegener wirken sie. So auch die Bleuers. Bis alle unten sind, dauert es circa eine Stunde.

Dieses Jahr sollte Daniel Bleuer seinen Podestplatz knapp verfehlen – mit 0,83 Sekunden Rückstand landet er auf Platz 4. Dafür sind Tochter und Frau heute besonders erfolgreich: Tochter Joelle gewinnt die Damenabfahrt, Frau Jeanette macht Platz 3 – genauso wie die Söhne Nils und Noa, die bei den Junioren Platz 1 und 3 machen. Die Velogemel-WM nimmt sich vielleicht nicht so ernst, aber ein Podestplatz fühlt sich dennoch gut an. Und es ist ein Event, das eine 100 Jahre alte Tradition wieder hochleben lässt – die Holzräder werden seit 1911 ausschließlich hier in Grindelwald produziert.

Text: Martha Miklin / friendship.is
Fotos: Florian Lechner & Heiko Mandl / friendship.is
Quelle: bestofthealps.com