Für das Alte Sorge tragen

Für das Alte Sorge tragen

Es gibt auf der ganzen Welt nur einen Mann, der den legendären Bhend-Eispickel produziert.

Dies ist eine unglaubliche Geschichte. Die 140jährige Geschichte des von Bergführern aus aller Welt geschätzten Bhend-Eispickels aus Grindelwald.

Wir hören von der Faszination um die Eiger Nordwand, von der mythischen Verbindung zwischen Mensch und Berg und von vier Generationen von Bhends, die den Alpinismus bis weit über das goldene Zeitalter hinaus begleitet haben. Aber wie steht es um die Zukunft des Bhend-Eispickels?

„Eigentlich mache ich genau das, was mein Urgroßvater auch gemacht hat“

„Eigentlich mache ich genau das, was mein Urgroßvater auch gemacht hat“, sagt Ruedi Bhend. Damit meint er den mittlerweile legendären Eispickel, der auch den Erstbesteigern des Mount Everests im Jahr 1953 zu ihrem grandiosen Erfolg verhalf. Was Ruedi außerdem mit seinem Urahnen Karl Bhend verbindet, ist, dass er das generationenübergreifende Traditionshandwerk nur im Nebenerwerb ausübt.

Schon erstaunlich für eine Erfolgsgeschichte wie der des Bhend-Pickels: Einst bestimmt für jene wohlhabende Klientel, die sich ‚den Berg leisten konnte’, ist das Bergsteiger-Utensil mit seinem charakteristischen Stil aus Eschenholz zum Liebhaberobjekt avanciert. Was genau dazwischen passiert ist, nach einer Blütezeit in der die Eispickel in die ganze Welt geliefert wurden, sei ,schwierig zu sagen’, meint der 69-jährige Ruedi Bhend ein wenig zurückhaltend, denn er ist einer, der mit Worten sparsam umgeht. Sein Alter sieht man ihm freilich nicht an, die Verbindung zur Grindelwalder Natur hält offensichtlich jung. Aber er wirkt genau so, wie man sich einen Mann aus den Alpen vorstellt: ein klein wenig stoisch, pflichtbewusst und äußerst gutmütig – und einer, der lieber mit den Bergen redet.

Mythos Berg

Der Eispickel gehört – neben Seil und Steigeisen – zur Grundausrüstung jedes Alpinisten. Doch wie ist Urgroßvater Karl, der selbst kein Bergsteiger war, auf die Idee gekommen, einen Eispickel herzustellen? Nun, meint Ruedi Bhend, das hätte mit der Entwicklung von Grindelwald nach der Entdeckung der Eiger Nordwand zu tun. Wir sprechen von der Zeit des Goldenen Alpinismus. Grindelwald, um 1880 ein kleines Dorf in dem man mit Landwirtschaft sein eher karges Dasein bestritt, bekam mit der zunehmenden Zahl von Bergsteigern und Touristen neuere, bessere Einkunftsmöglichkeiten beschert. Karl Bhend, ein begnadeter Hufschmied, erkannte im Eispickel die Chance auf einen Zusatzerwerb in ruhigeren Nebensaisonszeiten.

Den wohlhabenden Besuchern wollte man den Aufstieg so bequem wie möglich machen, einige transportierte man sogar mit Sänften ganz nach oben.

Mit seinem neuartigen Pickel erleichterte Karl Bhend den „echten“ Bergsteigern jedoch das Stufen schlagen: So kommt man besser voran. Es ist die Form der Spitze, die alles entscheidet. Der Bhend-Pickel war ursprünglich ein Allroundwerkzeug, da er mit einer Länge von 1,20 Metern auch als Gebirgsstock einsetzbar war. Moderne Eispickel messen im Vergleich dazu weniger als die Hälfte.

Der große Durchbruch des Bhend-Eispickels

Erst nach zwei Generationen hat Ruedi Bhends Vater Alfred schließlich das Eispickelmachen als Hauptbeschäftigung betrieben. Selbst affiner Bergsteiger, fertigte er sogar seine Steigeisen selbst. Die Zeiten waren gut für ihn, sogar so gut, dass er die Teilnehmer der Mount Everest-Expedition um Edward Hillary vom Pickel bis zu den Steigeisen ausstatten durfte. Eine unglaubliche Leistung, für Hillary wie auch für Alfred Bhend, die wahrscheinlich auch den Höhepunkt des Bhend-Eispickels markierte. „Der Vater hat früher auch viel nach Japan geliefert“, erinnert sich Ruedi Bhend an Alfred, der seinem Sohn das Handwerk übertrug. Nun macht er jedes Jahr zwischen Jänner und März an die 40 Pickel. In jedes seiner maßgefertigten Stücke fließen zwischen fünf und sechs Arbeitsstunden ein. Nach wie vor aber braucht man „gutes Augenmaß für die Rundungen des Pickels”, erzählt Ruedi Bhend. Und das erfordert Geschick und Übung. Handarbeit auf allerhöchstem Niveau.

Leidenschaft macht Tradition

In der Bhend’schen Werkstatt, mitten in Grindelwald, hängen einige Pickel vom Vater und vom Urgroßvater, der älteste ist 120 Jahre alt. Durch das breite Werkstattfenster blickt man auf die Berge. Ob er sich vorstellen könnte, wo anders zu wohnen? „Sehr, sehr schlecht. Ohne sie könnte ich nicht leben.“ Badeferien sind nicht Ruedi Bhends Sache. Lieber geht er im Winter Ski fahren und im Sommer wandern.
Ganz im Gegensatz zu Urgroßvater Karl hat es Ruedi bis auf den Mount McKinley in Alaska geschafft, zusammen mit sieben Freunden aus Grindelwald. Pickel und Steigeisen kamen natürlich ebenfalls aus Grindelwald mit.

„Man muss für das Alte Sorge tragen, genauso wie man auch für Neues offen sein muss.“

Über die Zukunft des Bhend-Eispickels ist noch nichts entschieden, obwohl Ruedi Bhends Sohn das Handwerk erlernt. „Man kann nichts erzwingen“, sagt Ruedi. Auch wenn er ganz im Einklang mit dem Lauf der Dinge zu stehen scheint, merkt man dennoch, dass ihn so einiges bewegt. Es fehle generell ein wenig die Begeisterung des Nachwuchses, meint er. Auch Verantwortung zu übernehmen sei in der heutigen Zeit nicht mehr so selbstverständlich. Denn zwischen dem Bhend-Pickel des Urgroßvaters und dem Jetzt hat die globalisierte Welt mal eben kurz die Schnellspultaste gedrückt: Um mit dem Pickel Geld zu verdienen muss man expandieren, aber der hohe finanzielle Einsatz dafür lohnt sich für Ruedi Bhend nicht. „Man muss für das Alte Sorge tragen, genauso wie man auch für Neues offen sein muss“, meint Ruedi Bhend. Und ein Mann der mit den Bergen redet, weiß wovon er spricht.

Text: Martha Miklin / friendship.is
Fotos: Florian Lechner / friendship.is
Quelle: bestofthealps.com