Ich mache immer gerne, was andere nicht tun

Ich mache immer gerne das, was die Anderen nicht tun.

Hort-Schlitten zu bauen ist für Hans Burgener eine Frage der Ehre.

Der Hori-Schlitten ist ein Stück Grindelwalder Tradition. Lange Zeit war der aus Eschenholz gefertigte Schlitten mit seinen unverkennbaren, über Dampf geformten Bögen das wichtigste Transportvehikel für die ansässige Bauernschaft. Heute kommt er nur noch in eigens ausgerichteten Hori-Rennen zum Einsatz. Die (unbeschriebenen) Regeln, nach denen er gebaut wird, sind aber noch die gleichen, und einer, der sie kennt, ist Hans Burgener.

Es schneit, als wir in der Werkstatt von Hans Burgener im Ortsteil Unter Eiger ankommen. Sein langer weißer Bart und seine wachen blauen Augen machen ihn sofort sympathisch. Auch vom Winter lässt sich der Grindelwalder Bauer nicht beirren: Er trägt eine Arbeitsjacke aus dünnem Stoff, obwohl die Temperatur in der Werkstatt sich nicht stark von jener draußen unterscheidet.
Lieber als dem Wetter passe er sich dem Tag an. „Ich stehe um vier Uhr dreißig auf, um neun Uhr gehe ich schlafen; da mache ich nicht mehr lange Tamtam,” erklärt er in seinem melodischen Schweizerdeutsch, das er eigentlich fast schon singt und dadurch so manche seiner Aussagen wie eine Frage enden lässt.

„Ich stehe um vier Uhr dreißig auf, um neun Uhr gehe ich schlafen; da mache ich nicht mehr lange Tamtam.“

Er baut gerade einen Hori zusammen, einen für Grindelwald so typischen Holzschlitten, der meist nur mehr einmal im Jahr, beim beliebten Hori-Rennen, Einsatz findet. Früher war er für die Bauern zum Brennholz holen im Wald und dem Transportieren von Heu oder sperrigen Gütern unabdinglich. „Deshalb“, sagt Hans Burgener „muss er leicht und stabil sein“. Um dies zu demonstrieren, hievt er sich den Schlitten mühelos auf seine Schultern. So kann man ihn auch tragen. Und: Der Schlitten ist so konzipiert, dass einzelne Teile ausgetauscht werden können.

Die Natur als Wegweiser

Die Idee von nachhaltigem Design, fest verankert im Leben eines praktisch denkenden Bauern, deckt sich auch mit seiner eigenen Lebenshaltung: „Man muss immer wieder so viel re-investieren, dass man halt noch überleben kann.“ Hans Burgener glaubt nämlich nicht an das unendliche wirtschaftliche Wachstum, das wahrscheinlich auch vorsehen würde, beim Schwund einer Kufe gleich den ganzen Schlitten zu ersetzen. Er glaubt deshalb nicht daran, weil sich dieses Phänomen auch nicht in der Natur wiederfindet. Außer der Mensch interveniert: „Ich frage mich immer, wie viel Milch die Bauern noch von ihren Kühen wollen… “, sagt Hans und schüttelt leicht den Kopf.
Hans Burgener spricht auch vom gesunden Menschenverstand, der ihm gerade etwas fehle in der Welt. Von jenen Werten, an denen selbst er, der Einzelkämpfer aus Überzeugung, festhält. Wir merken schnell, in Hans Burgeners Welt steht der Hori-Schlitten für sehr viel mehr als für die Aufrechterhaltung von überlieferter Tradition.

Es ist alles nur geliehen..

Nach seiner Tischlerlehre wollte Hans Burgener unbedingt Bauer werden. Um den angesparten Lehrlingslohn kauft er eine Kuh. Schritt für Schritt hat er dann mit seiner Frau Karoline die Landwirtschaft aufgebaut: einige Ställe und drei Alphütten renoviert, in einer von ihnen wohnen die beiden auch selbst. „Ich liebe es auf der Alp“, sagt er. Dort macht er im Sommer Käse, im Winter Trockenfleisch und verkauft beides ab Hof.

Mir ist wichtig, dass wir das, was wir von unseren Vorfahren übernehmen, im richtigen Zustand an die nächste Generation weitergeben.

Hans Burgener erzählt auch, wie wütend er damals als kleiner Junge auf seinen Vater, ebenfalls Bauer, war, als er den Großteil ihres Bodens verkaufte.

Daraus resultieren vielleicht auch Hans Burgeners Wertvorstellungen. „Mir ist wichtig, dass wir das, was wir von unseren Vorfahren übernehmen, im richtigen Zustand an die nächste Generation weitergeben.”

Die Sache mit der Ehre

Was einen an Hans Burgener besonders beeindruckt ist sein tiefsitzender Respekt vor seinen Mitmenschen. So wie auch vor dem einzigen Hori-Schlittenbauer, den es vor ihm in der Umgebung gab. Als sich der gelernte Tischler Burgener schließlich entschloss, das Traditionshandwerk auszuüben, war es für ihn Ehrensache sich von der Familie seines Vorgängers das Einverständnis zu holen. „Solange er Schlitten baut, habe ich mir gesagt, will ich ihm nicht konkurrieren. Nach seinem Tod im Jahr 2000 habe ich dann seinen Sohn und die Verwandten gefragt.“ Als keiner von ihnen das Handwerk übernehmen wollte, hat Hans Burgener mit dem Hori-Bauen angefangen.

Eine Einstellung, die in der heutigen konkurrenzorientierten Zeit überrascht, vor allem aber auch zum Nachdenken anregt. Hans Burgener zeigt selten gewordenen Charakter. Er ist einer, der den Prinzipien unserer schnelllebigen Gesellschaft trotzt und vielleicht gerade deswegen so gut im Einklang mit sich selbst und seinem Umfeld lebt. „Ich mache immer gerne das, was die anderen nicht tun”, sagt er. Wenn ein Mann so frei lebt in seinem Kopf wie Hans Burgener, dann hat er allen Grund, dem Leben gelassen entgegen zu treten. Dennoch sagt er, dass man ein Vorbild sein muss für andere.

Die Landwirtschaft hat er bereits seinem Sohn übergeben. Und wenn er sich etwas wünschen könnte, dann würde er am liebsten morgen alles an Land zurückkaufen was sein Vater damals verkauft hat. Aber Hans Burgener ist nicht jemand, der den Dingen nachtrauert. Lieber freut er sich darauf, seinem Enkel einmal die Kunst des Hori-Machens beizubringen. Denn die soll in Grindelwald auf jeden Fall weiterhin bestehen.

Text: Sandra Pfeifer / friendship.is
Fotos: David Payr / friendship.is
Quelle: bestofthealps.com